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Donnerstag, 11. Oktober 2007

Offener Brief an Minister Seehofer

Nach Meinung der KLJB wird der aktuelle Entwurf der Nachhaltigkeitsverordnung zum Biokraftstoffquotengesetz einem tatsächlichen Nachhaltigkeitsanspruch nicht gerecht. Mit der Verbändeplattform "Nachhaltige Bioenergie" hat die KLJB einen offenen Brief an den Landwirtschaftsminister unterzeichnet.

Offener Brief der Verbändeplattform Nachhaltige Bioenergie, Forum Umwelt & Entwicklung an Herrn Bundesminister Horst Seehofer, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV)

 

 

Sehr geehrter Herr Bundesminister Seehofer,

 

zur Zeit erarbeitet Ihr Ressort gemeinsam mit dem federführenden Bundesministerium für Finanzen sowie dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die Nachhaltigkeitsverordnung zum Biokraftstoffquotengesetz. Wir begrüßen prinzipiell die Einführung einer Nachhaltigkeitsverordnung. Im vorliegenden Entwurf fehlen jedoch an zentralen Stellen Bestimmungen zur Nachhaltigkeit. So ist nach Ansicht der unterzeichnenden Entwicklungs- und Umweltverbände Nachhaltigkeit nicht ohne die Integration von international anerkannten Sozialstandards zu erzielen. Auch aus ökologischer Sicht sind die im bisherigen Entwurf enthaltenen Nachhaltigkeitskriterien unzureichend. Es ist nicht in unserem Interesse, den Begriff der Nachhaltigkeit auf Produkte und Produktionswege anzuwenden, die bestimmte international erprobte Mindestanforderungen nicht erfüllen.

Die zur Debatte stehende Verordnung ist unserer Auffassung nach von hoher Bedeutung für die weitere Entwicklung des Bioenergie-Sektors. Deutschland könnte mit einer anspruchsvollen Nachhaltigkeits-Verordnung die Rolle eines Vorreiters für die Einführung einer glaubwürdigen, verpflichtenden und unabhängigen Zertifizierung von Biokraftstoffen aufgrund hoher ökologischer und sozialer Nachhaltigkeitsanforderungen übernehmen, sowohl in der EU als auch weltweit. Die EU wird die Ausgestaltung der Biokraftstoffrichtlinie maßgeblich an den Vorarbeiten ihrer Mitgliedstaaten ausrichten. Leider bleiben die Vorschläge der Bundesregierung hinter den Vorschlägen aus Großbritannien und den Niederlanden zurück.

 

Die unterzeichnenden Entwicklungs- und Umweltverbände sind der Ansicht, dass ohne die Einbindung der im Folgenden aufgezeigten Kriterien und Standards die Verordnung das Etikett der Nachhaltigkeit nicht verdient. Gleichzeitig sind wir davon überzeugt, dass eine Nachhaltigkeitsverordnung, die auf überprüfbaren Kriterien für Ökologie, Ökonomie und Soziales beruht, besondere Glaubwürdigkeit genießt. Diese Glaubwürdigkeit bildet einen Vorteil für Wirtschaftsunternehmen, die auf Basis der Verordnung arbeiten. Das BMELV vertritt in den bisherigen Beratungen den Standpunkt, neben einer nachgewiesenen Treibhausgasreduzierung in der Produktionskette sei die »gute fachliche Praxis« bei inländischem Anbau bereits ausreichend für den Nachhaltigkeits-Nachweis. Die unterzeichnenden Verbände sind zudem der Meinung, dass ein substantieller Beitrag zur Treibhausgasreduzierung nachgewiesen werden muss. Die »gute fachliche Praxis« ist jedoch zur Vermeidung von durch die Bioenergieproduktion hervorgerufenen Umweltbelastungen und Beeinträchtigungen des Naturhaushalts nicht ausreichend. Wir bitten Sie daher, den Problemen, die sich bereits jetzt aus dem Anbau von Energiepflanzen ergeben, entgegenzusteuern und in der Nachhaltigkeitsverordnung eine Präzisierung der Mindeststandards in den nachfolgend aufgeführten Punkten durchzuführen.

 

• Sozialstandards: Im vorliegenden Entwurf sind ausschließlich ökologische Standards mit Bezug auf die “gute fachliche Praxis“ enthalten, während soziale und Menschenrechtskriterien fehlen. Dies wird der beim UN-Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro von der Staatengemeinschaft verabschiedeten Nachhaltigkeitsdefinition als “ökologisch tragfähig, sozial gerecht, wirtschaftlich tragfähig“ nicht gerecht. Wir sind daher der Meinung, dass entgegen der bisherigen Fassung der Verordnung Anforderungen an die sozialen Auswirkungen der Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen aufgenommen werden müssen. Die Verordnung muss sicherstellen, dass für zertifizierte Bioenergieträger die Verdrängung von Kleinbauern und Grundnahrungsmittelproduktion, Landvertreibungen und die weitere Konzentration von Landeigentum durch die Bioenergieproduktion ausgeschlossen werden. Für die Gewährleistung traditioneller Land- und Beteiligungsrechte sollten die ILO-Konvention 169 sowie die Standards des Forest Stewardship Council herangezogen werden. Bei der Produktion von Biokraftstoffen sind die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen und weiterer Arbeitsschutzbestimmungen der ILO für PlantagenarbeiterInnen (vor Unfällen sowie bei Pestizideinsatz), sowie die Gesundheitsschutzvorgaben existierender Zertifizierungssysteme wie z.B. der Fairtrade Labelling Organization zu gewährleisten; andernfalls sind sie nicht auf die Quote anzurechnen. Darüber hinaus dürfen keine nachwachsenden Energierohstoffe aus Ländern mit Gewaltkonflikten zertifiziert und importiert werden (wie z.B. bei Palmöl aus Kolumbien und Indonesien), wo für die Bioenergieproduktion akut die Lokalbevölkerung vertrieben und Menschenrechte durch (Para-)Militärs verletzt werden. Die notwendige Verankerung solcher Sozialstandards würde auch einen kohärenten Beitrag zur Umsetzung der Verpflichtung des G8-Gipfels aus Heiligendamm leisten (“Wachstum und Verantwortung in der Weltwirtschaft“).

 

• Fruchtfolge: Der aktuelle Bioenergie-Boom führt zu einer Verengung der Fruchtfolgen vor allem durch den verstärkten Raps- und Maisanbau. Dadurch sind negative Auswirkungen auf den Naturhaushalt, die biologische Vielfalt und das Landschaftsbild zu verzeichnen. Wir halten es daher für notwendig, in die Verordnung das konkrete Kriterium einer mindestens dreigliedrigen, flächenspezifischen Fruchtfolge aufzunehmen.

 

• Humusabbau: Vielerorts führt die erhöhte Biomasse-Entnahme zu verstärktem Kohlenstoff- bzw. Humusabbau. Ein Nachhaltigkeitszertifikat für die Bioenergieproduktion sollte daher klar definierte Anforderungen einer ausgeglichenen Humusbilanz beinhalten.

 

• Grünlandumbruch: Der Grünlandumbruch setzt in erheblichem Maße Treibhausgase frei und konterkariert somit das Ziel, diese zu reduzieren. Trotz der Vorgaben von Cross Compliance bietet die Produktion von Energiepflanzen erhöhte Anreize und führt bereits jetzt zu einem erheblichen Umbruch von Grünland. Daher sind hier konkretere und höhere Anforderungen für einen Nachhaltigkeitsnachweis erforderlich, wie z.B. ein generelles Umbruchverbot auf sensiblen Standorten, um eine Zunahme des Grünlandumbruchs zu verhindern.

 

• Gentechnik: Der Einsatz von Gentechnik soll aufgrund seiner negativen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen insbesondere auf (Klein-)BäuerInnen insbesondere in Entwicklungsländern von einer Anrechnung auf die Biokraftstoffquote strikt ausgeschlossen werden.

 

• Biokraftstoffimporte: Im Entwurf der Verordnung ist der Ausschluss des Anbaus von Biomasse nur in „Gebieten mit hohem Naturschutzwert“ vorgesehen. Hier wird offenbar Bezug genommen auf die Definition von High Conservation Value Forests des FSC. Dies geht nicht weit genug. Eine Ausweitung der Anbaufläche von Biomasse darf weder direkt noch indirekt zu einer Zerstörung der letzten intakten Urwälder, der Torf-Moorwälder noch anderer Waldflächen führen. Statt CO2 einzusparen, würde die Nutzung der Biomasse sonst in erheblichem Ausmaß zusätzliches CO2 freisetzen. Der Referenzzeitpunkt ist mit dem 1.1.2007 zu spät gewählt. Bei diesem Stichtag würden z.B. die in den letzten Jahren abgebrannten Moorwälder Indonesiens nicht mit einbezogen. Wir plädieren für ein Jahr deutlich vor 2007 als Basisjahr. Flächen, die danach abgeholzt wurden, müssen wieder bewaldet werden. Biokraftstoffe, die aus Staaten importiert werden, die kein Moratorium für den Anbau von Biomasse

• auf neuen Flächen, insbesondere Urwald- und Moorwaldflächen;

• mit gentechnisch veränderten Pflanzen

• unter Missachtung von sozialen Mindestkriterien

beschlossen haben, sollten als nicht-nachhaltig eingestuft und dementsprechend nicht auf die Quote angerechnet werden.

 

• CO2-Minderung: Grundsätzlich ist es ein guter und richtiger Ansatz, dass Biokraftstoffe für die Anrechnung auf die Quote ein definiertes CO2-Verminderungspotenzial aufweisen müssen. 20-40% sind aber viel zu wenig. Eine Anrechnung der Quote sollte nur erfolgen, wenn das CO2-Verminderungspotenzial mindestens 50% beträgt.

 

Sehr geehrter Herr Bundesminister,

die Glaubwürdigkeit der geplanten Nachhaltigkeitsverordnung ist von hoher Bedeutung für die weiteren Entwicklungsperspektiven der Bioenergie. Die staatliche Förderung der Bioenergie wird in der Öffentlichkeit nur dann akzeptiert werden, wenn sie tatsächlich einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leistet. Dies muss auch im Interesse derjenigen Landwirte sichergestellt werden, die die zusätzlichen Einkommensmöglichkeiten aus der Bioenergieproduktion nutzen wollen. Wir möchten Sie dringend bitten, dafür Sorge zu tragen, dass Ihr Haus einen Beitrag zur Eindämmung der ökologischen und sozialen Probleme der Bioenergieproduktion leistet. Dazu gehören die Anpassung der guten fachlichen Praxis sowie die Aufnahme von Sozialstandards in die Verordnung.

 

In Erwartung Ihrer Antwort verbleiben wir mit freundlichen Grüßen

 

• Maria Heubuch, Bundesvorsitzende Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V.

• Wolfgang Kuhlmann, Geschäftsführer Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz (ARA)

• Gerhard Timm, Geschäftsführer Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)

• Jürgen Maier, Geschäftsführer Forum Umwelt & Entwicklung

• Brigitte Behrens, Geschäftsführerin Greenpeace Deutschland

• Roman Herre, Geschäftsführer FoodFirst Informations- und Aktions- Netzwerk Deutschland (FIAN)

• Monica Kleiser, Bundesvorsitzende Katholische Landjugendbewegung Deutschlands e.V. (KLJB)

• Bernd Bornhorst, Leiter Abteilung Entwicklungspolitik, Misereor

• Leif Miller, Geschäftsführer Naturschutzbund Deutschland (NABU)

• Eberhard Brandes, Geschäftsführer Umweltstiftung WWF Deutschland