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Dienstag, 01. März 2005

Der Tsunami und die MIJARC

Der Präsident der MIJARC-Welt, George Dixon Fernandez, kommt aus den vom Tsunami betroffenen Gebieten Indiens. Er schildert im nachfolgenden Bericht die Situation in seinem Heimatland und was derzeit notwendig ist...

Der Präsident der MIJARC-Welt, George Dixon Fernandez (r.), kommt aus den vom Tsunami betroffenen Gebieten Indiens. Er schildert im nachfolgenden Bericht die Situation in seinem Heimatland und was derzeit notwendig ist.

 

Es gibt ein Sprichwort: "Der Mensch denkt und Gott lenkt." Wir waren in der Vergangenheit immer wieder Zeugen vieler Naturkatastrophen wie Erdbeben, Vulkanausbrüche, Wirbelstürme, Überschwemmungen und so weiter. Aber die Katastrophe, die sich am 26. Dezember 2004 in Asien ereignet hat, ist wirklich das größte Unglück seit Menschengedenken. Es war ein so unerwarteter und plötzlicher Vorfall, dass auch die wissenschaftliche Welt den Menschen nicht helfen konnte, sich vor der Gefahr zu schützen.

 

Die Auswirkungen in Indien

In Indien hat der Tsunami am schwersten die Andaman Nicobar Inseln sowie die Küstenregionen in Tamilnadu, Kerala und Andhra Pradesh getroffen. Einige der kleinen Inseln in Andaman sind komplett vom Wasser verschluckt worden. Indien hat seine äußerste südliche Grenze verloren, den Indira Gandhi Point. Unsere politische Landkarte muss neu gezeichnet werden. Mehr als 2.000 Menschen auf den Andaman Nicobar Inseln haben ihr Leben verloren, 8.000 starben in den anderen Gebieten. Mehr als 150.000 Menschen haben ihre Bleibe verloren und mussten in Zeltlagern Zuflucht suchen. Auf dem Arabischen Meer, in der Bengalischen Bucht und dem Indischen Ozean trieben wochenlang tote Körper. An vielen Orten liegen hunderte Tote gemeinsam in Massengräbern.

 

Der Tsunami und die MIJARC

http://www.mijarc.org/Es gibt MIJARC-Gruppen in Tamilnadu, Kerala, Andra Pradesh und Sri Lanka. Marie-Pauline, Miglied des MIJARC Asien-Kontinentalvorstandes, berichtete, dass einer der früheren MIJARC-Koordinatoren tot sei, außerdem einige unserer Mitglieder, die in den Küstenregionen lebten. So haben wir beispielsweise auch Miss Priya verloren, eine 18 Jahre alte Gruppenleiterin aus dem Ort Quilon. Hunderte junger MIJARC-Mitglieder und ihre Familien, die von der Fischerei leben, haben alles verloren: Fischerboote, Netze, Motoren.

Viele Freiwillige aus der MIJARC sind gleich nach dem 26. Dezember in die betroffenen Gebiete gereist, um zu helfen. Sie bauen Notunterkünfte auf, helfen, die hygienischen Verhältnisse zu verbessern, beerdigen Tote, verteilen Kleider, Medizin und Nahrung.

 

Wie ich persönlich das Unglück erlebt habe

Am Morgen des 26. Dezember hörte ich in den Nachrichten eine Kurzmeldung über steigende Wasserstände in Mareena Beach in Chennai und Velankanny in Tamilnadu. Ich dachte nicht weiter über dese Meldung nach - solche Phänomene gibt es öfter, zum Beispiel aufgrund von Ebbe und Flut. Am Nachmittag war ich auf der Hochzeit eines Freundes - in einem Haus, das sehr nah an der Küste steht. Ich sah, wie das Wasser sich sehr weit vom Land zurückzog. Es war erstaunlich, ich hatte noch nie gesehen, dass das Wasser so weit vom Land entfernt war. Ich ging nach Hause, ohne mir besondere Gedanken zu machen - bis ich die Fischer traf, mit denen ich öfter plaudere, weil ich nur 150 Meter vom Meer entfernt wohne. Sie waren sehr aufgeregt und erzählten, es gäbe ganz ungewöhnliche Wellenbewegungen auf dem Wasser. Die Küstenbewohner seien in Gefahr. Wir rannten zum Hafen und plötzlich hörten wir eine Alarmsirene der Polizei. Sie sagten den Leuten, die sollen ihre Häuser verlassen und brachten Frauen und Kinder in ein Notlager in der Schule. Die Fischer weigerten sich, ihr Hab und Gut im Stich zu lassen. Sie versuchten, die Boote mit Stricken festzubinden und die Netze fortzuschaffen. Aber alles war vergebens: Ich als Mitglied der Kommunalverwaltung beobachtete gemeinsam mit der Polizei, wie etwa um sieben Uhr abends gewaltige Wellen über die Küste rollten und alles mit sich rissen, auch die angebundenen Boote. Drei Minuten lang schlugen die gewaltigen Tsunami-Wellen auf die Küste und haben alles zerstört. Ungefähr dreißig junge Leute aus unserer Bewegung, die von der Fischerei leben, haben alles verloren.

 

Allein für die Küstenregion im Bundesstaat Kerala wurde der Schaden auf 2.000.000 Euro geschätzt. Gott sei dank kam in meinem Dorf niemand ums Leben, da wir vorher vor dem Tsunami gewarnt wurden. Aber wenige Kilometer entfernt starben mehrere Menschen. Die folgenden drei Tage waren beherrscht von Chaos und Gerüchten. Wir könnten nachts nicht schlafen und haben angstvoll das Meer beobachtet. Meine Familie musste eine Woche lang zusammengedrängt mit anderen im Notlager bleiben. Die Regierung hat jedem fünf Kilo Reis für vier Wochen gegeben. Sonst gab es noch keine Unterstützung. Auch nicht für die, die alles verloren haben. Die Fischer warten noch immer auf Hilfe - sie sind so arm, dass manche sagen "es wäre besser, im Tsunami ums Leben gekommen zu sein, als so weiterzuleben." Die Regierung zahlt jeder Familie, die einen Angehörigen verloren hat, 1.000 Rupien.

 

Ich denke, die Tsunami-Katastrophe hat die Menschheit zwei Lektionen gelehrt. Die erste ist die Lektion der Solidarität zwischen den Mensachen auf der ganzen Welt. Das Unglück hat vielen Menschen in Asien körperlich geschadet - in Wahrheit hat es aber das Herz der Welt selbst getroffen. Die zweite Lektion ist: Es ist an der Zeit darüber nachzudenken, wie wir mit der Natur und ihren Schätzen umgehen. Ich meine, die Ausbeutung der Natur ist mit ein Grund für dieses Unglück. So wie wir die Natur ausbeuten schlägt sie zurück. Überall dort, wo die Menschen den Wald entlang der Küste abgeholzt haben, waren die Auswirkungen des Wasser verheerend. Denkt mal über die zweite Lektion nach.

 

Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen bedanken, die sich in den ersten Tagen nach dem Tsunami erkundigt haben, wie es uns geht. Die E-Mails aus Deutschland haben sehr gut getan. Bedanken möchte ich mich besonders für die Spenden an den MIJARC-Solifonds. Mit dem Geld wollen wir versuchen, den betroffenen Menschen vor Ort zu helfen. Besonders wichtig ist es, dass gerade die Fischer finanzielle Unterstützung bekommen, um sich Boote und Netze zu kaufen, damit sie wieder in der Lage sind, selbstständig für die Existenzsicherung zu sorgen.

 

George Dixon Fernandez, MIJARC-Präsident

 

George Dixon Fernandez wurde am 14. August 2004 von der Generalversammlung der MIJARC zum Präsidenten gewählt.